Er hatte sich an den Stamm
einer Fichte gehockt. Von Osten trug der
Wind das Rauschen des Wasserfalls herüber. Wenn er die Augen
zusammenkniff, konnte er am Rand der Lichtung den Hochsitz ausmachen.
Falkner war da gewesen, so
wie er es erwartet hatte. Mit der Taschenlampe hatte er Zentimeter für
Zentimeter abgesucht. Auch das war vorhersehbar gewesen. Natürlich hatte er den
Hochsitz entdeckt und das Pikass. Die Botschaft hatte er jedoch nicht
verstanden, noch nicht – da war er sich sicher. Aber das machte das Spiel
reizvoller, steigerte die Spannung, zögerte das Unausweichliche hinaus. Er
grinste in die Morgendämmerung, nahm die Thermoskanne aus seinem Rucksack und
stärkte sich mit heißem Tee. Dann stand er auf, um die kühle Feuchte aus seinen
Gliedern zu schütteln. Er streckte sich und sog würzige Waldesluft bis tief in
die Lungenspitzen. Der Geruch nach moosiger Erde weckte seinen Appetit auf eine Eierspeis mit Steinpilzen. Begnügen musste er sich mit einem trockenen
Stück Brot – feiern und völlern konnte er später. Dann,
wenn alles vorbei war, die alte Rechnung mit Falkner endlich beglichen war.
Er dachte an das
Begräbnis. Er war ganz hinten gestanden und hatte trotzdem einen guten Blick
auf den Inspektor gehabt. Seelische Qualen
machten ein Gesicht
erst so richtig interessant. Hätte er zeichnen können, Falkner wäre ein gutes
Motiv gewesen. Er hatte ihn an diese Charakterköpfe erinnert, die er seinerzeit
auf einem Plakat in Wien gesehen hatte. Wien, er seufzte. Es gab Zeiten, in denen er meinte,
ein Leben in der Stadt wäre die bessere Entscheidung gewesen.
Frida war süß. Schon jetzt
erschien sie ihm fescher als ihre Schwester Fiona. "Scho uanglich vü Huiz voa da Hittn!", hatte Franz gesagt.
Er gab ihm in Gedanken recht. Das Mädel verkörperte alles, was ein Mann sich
nur wünschen konnte. Wenn es nach ihm ging, würde sich bald neuer Schmerz in
die Züge des Inspektors furchen. Er rieb sich die klammen Finger.
Erste Sonnenstrahlen
brachten die Wassertropfen, die an Blatträndern und Gräsern hingen, zum
Glitzern.
Auch sie war vom Frühtau
benetzt gewesen, als er einen letzten Blick auf sie geworfen hatte. Ihr feines,
blondes Haar war an der Wange geklebt. Die Fliegen auf der klaffenden
Fleischwunde hatten versöhnlich gebrummt, ihre schillernden Flügel wie
ausgefallene Schmuckstücke im Morgenlicht geglänzt.
"Ois wiad guad!"
Er murmelte den Satz wie ein Mantra. "Scheiß Gwissn", fügte er hinzu,
weil ihm Franz mit seinem Geständnisdrang nicht aus dem Kopf gehen wollte. Dass
ihn ein ernstes Gespräch zur Räson bringen würde, hielt er für
unwahrscheinlich. Jeder hätte wissen müssen, dass auch ein trockener
Alkoholiker ein Säufer blieb, früher oder später eine "waache Bian"
bekam und Schwachsinn verzapfte, bis
schließlich alles aufflog. Wenn es nach ihm ging, würde es nicht
soweit kommen. Man musste auch radikale Mittel in Betracht ziehen – zum
Beispiel den Schlachtschussapparat beim Hochwild im Stadel oder den derben Strick, der beim Sepp im
Kuhstall lag. Mit solider Überzeugungsarbeit, einer Flasche Zirbengeist oder
vielleicht einem Lärcherl konnte man Franz bestimmt dazu bringen ... so lange
es nach einem Unfall aussah …
Selbstmord tät natürlich auch passen. Eigentlich gar nicht schlecht!
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