KAPITEL II - KNOPP DANEM IS A BEIM NOCHBOAN - FÜNFTER AKT

Was bisher geschah 


Fünfter Akt 
Von Lisa Lercher


Er hatte sich an den Stamm einer Fichte gehockt. Von Osten trug der Wind das Rauschen des Wasserfalls herüber. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er am Rand der Lichtung den Hochsitz ausmachen.
Falkner war da gewesen, so wie er es erwartet hatte. Mit der Taschenlampe hatte er Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Auch das war vorhersehbar gewesen. Natürlich hatte er den Hochsitz entdeckt und das Pikass. Die Botschaft hatte er jedoch nicht verstanden, noch nicht – da war er sich sicher. Aber das machte das Spiel reizvoller, steigerte die Spannung, zögerte das Unausweichliche hinaus. Er grinste in die Morgendämmerung, nahm die Thermoskanne aus seinem Rucksack und stärkte sich mit heißem Tee. Dann stand er auf, um die kühle Feuchte aus seinen Gliedern zu schütteln. Er streckte sich und sog würzige Waldesluft bis tief in die Lungenspitzen. Der Geruch nach moosiger Erde weckte seinen Appetit auf eine Eierspeis mit Steinpilzen. Begnügen musste er sich mit einem trockenen Stück Brot – feiern und völlern konnte er später. Dann, wenn alles vorbei war, die alte Rechnung mit Falkner endlich beglichen war.
Er dachte an das Begräbnis. Er war ganz hinten gestanden und hatte trotzdem einen guten Blick auf den Inspektor gehabt. Seelische Qualen machten ein Gesicht erst so richtig interessant. Hätte er zeichnen können, Falkner wäre ein gutes Motiv gewesen. Er hatte ihn an diese Charakterköpfe erinnert, die er seinerzeit auf einem Plakat in Wien gesehen hatte. Wien, er seufzte. Es gab Zeiten, in denen er meinte, ein Leben in der Stadt wäre die bessere Entscheidung gewesen.

Frida war süß. Schon jetzt erschien sie ihm fescher als ihre Schwester Fiona. "Scho uanglich vü Huiz voa da Hittn!", hatte Franz gesagt. Er gab ihm in Gedanken recht. Das Mädel verkörperte alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. Wenn es nach ihm ging, würde sich bald neuer Schmerz in die Züge des Inspektors furchen. Er rieb sich die klammen Finger.

Erste Sonnenstrahlen brachten die Wassertropfen, die an Blatträndern und Gräsern hingen, zum Glitzern.
Auch sie war vom Frühtau benetzt gewesen, als er einen letzten Blick auf sie geworfen hatte. Ihr feines, blondes Haar war an der Wange geklebt. Die Fliegen auf der klaffenden Fleischwunde hatten versöhnlich gebrummt, ihre schillernden Flügel wie ausgefallene Schmuckstücke im Morgenlicht geglänzt.
"Ois wiad guad!" Er murmelte den Satz wie ein Mantra. "Scheiß Gwissn", fügte er hinzu, weil ihm Franz mit seinem Geständnisdrang nicht aus dem Kopf gehen wollte. Dass ihn ein ernstes Gespräch zur Räson bringen würde, hielt er für unwahrscheinlich. Jeder hätte wissen müssen, dass auch ein trockener Alkoholiker ein Säufer blieb, früher oder später eine "waache Bian" bekam und Schwachsinn verzapfte, bis schließlich alles aufflog. Wenn es nach ihm ging, würde es nicht soweit kommen. Man musste auch radikale Mittel in Betracht ziehen – zum Beispiel den Schlachtschussapparat beim Hochwild im Stadel oder den derben Strick, der beim Sepp im Kuhstall lag. Mit solider Überzeugungsarbeit, einer Flasche Zirbengeist oder vielleicht einem Lärcherl konnte man Franz bestimmt dazu bringen ... so lange es nach einem Unfall aussah Selbstmord tät natürlich auch passen. Eigentlich gar nicht schlecht!

Das Hämmern des Spechts, der in den morschen Föhrenstämmen beim Hochsitz nach Insekten suchte, riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste sich beeilen. Es war noch einiges zu erledigen, bis das Rossfest endlich begann. "De wean schaun", er kicherte. Dann machte er sich auf den Weg.



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