Was bisher geschah
Vierter Akt
Von Markus Teufel
Aber rein mit dem Schäufelchen!
Runter mit der Erde, ins tote Gesicht seiner Tocher.
„Mein Beileid!“
Rein mit der Erde!
Rein bis hinter den Kehlkopf
„Es tuat uns für se und ihre Famülie jo so lad, hean 'S, Herr
Inspekta!“.
Es stellte Falkner die Zehennägel auf bis zu den Wimpern.
Herr Inspekta! Herr Inspekta!
Und plötzlich, von rechts, wie von Geisterhand, zischte eine
Spielkarte an seinem eisgrauen Blick vorbei und tauchte langsam wie ein Feder
hinunter in das dunkle Grab. Mit einem heftigen Ruck drehte Falkner seinen
fahlen, spitzen Hals rechtsum, die Lider halb geöffnet und verkrampft vom
endlosen Nicht-weinen-wollen. „Wea woa des?“, dachte er schnell. Sein scharfer
Blick blitzte umher wie ein Glühwürmchen in lauer Sommernacht. „Spinn' i eh scho?“,
rumorte es in seinem erhitzten Kopf. Woher war das flattrige Geschoss gekommen?
Raubtieraugen, Falkner lässt misstrauische Blicke über das absurde
Begräbnispanorama streifen. Jedoch, Stille.
Im toten Winkel seines
faltigen Sichtfelds konnte er die Silhouette seiner zweiten Tochter ausmachen.
Frida stand versteinert wie eine Friedhofs-Denkmal vor dem Grab ihrer
Schwester, die Arme vor dem kindlichen Gesicht verschränkt, das geflutet war
von silbrigen Tränen. Sie konnte es wohl am wenigsten verstehen, was hier
gerade vor sich ging. Fiona tot. Eine Zukunft, genommen und fortgeschickt wie
ganz nebenbei. Die Hoffnung erschlagen wie alles, was noch fühlen konnte im
Herzen des kleinen Mädchens. Die restlichen Trauergäste schluchzten, hielten
inne oder nuschelten sich Worte des Beileids zu. Niemand schien die ominöse
Karte oder die Quelle ihrer Herkunft bemerkt zu haben. Falkner wagte einen
letzten Blick über die kantigen Gesichter Berghofens, doch da war nichts
auszumachen. Der Inspektor seufzte kräftig, aber innerlich, und bückte seinen
trägen Körper Richtung Grab hinunter.
Die Spielkarte war genau in der Mitte des massivhölzernen Sarges
gelandet. Es war ein Pik As. „Jogdgeschwada Dreiafufz“, schoß es Falkner durch
den Kopf. Der viel zu dünn geschnitzte Heiland am Sarg-Kruzifix schien die
Karte umschlingen zu wollen. Mechanisch glitt seine linke Hand in die tiefe
Jackentasche, als ihm einfiel, dass er auf einem Begräbnis wohl besser nicht
rauchen sollte. Falkner sinnierte, als er die Spielkarte genauer betrachtete.
Was hatte es damit auf sich? Und warum überhaupt lag seine älteste Tochter dort
unten in ihrem Grab? Wie konnte das Leben es zulassen, dass ein Vater sein Kind
unter die Erde getragen sehen muss? Eine Galaxie voller Fragen, aber keine
Antwort außer Schmerz. Falkners Gedanken verloren sich im dunklen Abgrund vor
ihm und dem seines Herzens. „Wieso...“
Plötzlich ein Windhauch, wie eine Umarmung der Wolken. Laubrascheln,
vergilbtes Geäst und Schwindel. Falkner fühlte sich, als ob seine Innereien gen
Himmel gesogen wurden. Alles drehte sich, doch stand er ruhig da. Sekunden
vergingen, seine Wahrnehmung verzerrt wie durch ein Kaleidoskop. Und nun
dämmerte es ihm. Er konnte es nicht glauben, dass er es nicht schon früher
ahnte, dass er schon wieder getäuscht worden war. Wie jede Nacht, ausgetrickst
von seinem Unterbewusstsein, das ihm vorkam wie ein gefräßiger Alb auf
Beutejagd.
Falkner atmete unruhig, als sich seine Augen langsam öffneten. Er
spähte über seine rechte Schulter, dort stand sein altmodischer Wecker aus den
70ern. 5 Uhr 17. Es war noch stockdunkel im Zimmer, doch der erwachende
Inspektor spürte, dass sich die Sonne bereits aufmachte, den Tag zu eröffnen.
Falkner richtete sich behäbig auf in seinem spärlichen Einzelbett. Es wirkte
genauso schnörkellos wie alles in dem schlichten Zimmers. „Dieses Oaschloch von
Dram“, würgte ein kurzer Schwall von Wut durch seinen schweren Kopf. Seit zehn
Jahren der gleiche Albtraum. Falkner hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass er
seine Tochter wiedersehen würde, als sie damals spurlos verschwand. Dass er sie
finden und retten konnte. Das war ihm doch gewiss. Jetzt fanden sie sie, jetzt
war es soweit, jetzt war sie tot.
Wie jeden morgen sein zittriger Griff auf das Nachttischen neben ihm.
Das Zigaretten-Päckchen war arg zerknittert. Nur noch drei Stück für den Start
in den Tag. Seufzen, während er sich fragte, ob er nicht doch ein bisschen
Mitschuld trüge an Fionas Tod. Ob er nicht mehr hätte tun können, ob er nicht
mehr hätte tun müssen. Und bei dem Gedanken erinnerte er sich, dass ihn heute
Frida besuchen kommen wollte. Seine hübsche Kleine. Sie kämpfte am meisten mit
dem Tod ihrer Schwester und es erschien ihm ein Rätsel, wie sie jemals darüber
hinweg kommen sollte. Er war versucht, kurz aufzuschrecken, aber seine müden
Knochen ließen davon ab.
Die Sonne blinzelte quälend und fast zynisch, als Falkner die Vorhänge
seines Schlafzimmerfensters zur Seite zog, um den allmorgendlichen Blick auf
Berghofen zu richten. Falkners Zungenspitze
glühte unter der dem ersten Zug des Tages. Er meinte, dass er mit Frida
frühstücken gehen sollte. Und er war gewillt, dem Tod von Fiona auf die Spur zu
kommen. Auch wenn ihm der Krickl den Fall entzogen hatte, am Rossfest würde
sich die perfekte Gelegenheit ergeben, sich ein wenig umzuhören. Vor allem den Horst Hochwild würde er sich
vornehmen, schließlich hatte Falkner das Pik Ass, das sich so wirr in seine
Träume geschlichen hatte, auf dessen Hochstand
gefunden. Der alte Brunnen, der
sich gleich unter dem Fenster vor seinem Haus befand, wurde mit Girlanden
verziert, während geschäftige Marktler ihre Stände errichteten. „Des vakummt a
imma mehr zu an Zötfest“,
ärgerte sich der Inspektor, als er den letzten Rauch aus seiner schmerzenden
Lunge blies. Keine klaren Gedanken, sein Leben fühlte sich wie ein neues an.
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Bild von George Almond |
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