KAPITEL II - KNOPP DANEM IS A BEIM NOCHBOAN - VIERTER AKT

Was bisher geschah 


Vierter Akt 
Von Markus Teufel

Aber rein mit dem Schäufelchen!
Runter mit der Erde, ins tote Gesicht seiner Tocher.
„Mein Beileid!“
Rein mit der Erde!
Rein bis hinter den Kehlkopf
„Es tuat uns für se und ihre Famülie jo so lad, hean 'S, Herr Inspekta!“.
Es stellte Falkner die Zehennägel auf bis zu den Wimpern.
Herr Inspekta! Herr Inspekta!

Und plötzlich, von rechts, wie von Geisterhand, zischte eine Spielkarte an seinem eisgrauen Blick vorbei und tauchte langsam wie ein Feder hinunter in das dunkle Grab. Mit einem heftigen Ruck drehte Falkner seinen fahlen, spitzen Hals rechtsum, die Lider halb geöffnet und verkrampft vom endlosen Nicht-weinen-wollen. „Wea woa des?“, dachte er schnell. Sein scharfer Blick blitzte umher wie ein Glühwürmchen in lauer Sommernacht. „Spinn' i eh scho?“, rumorte es in seinem erhitzten Kopf. Woher war das flattrige Geschoss gekommen? Raubtieraugen, Falkner lässt misstrauische Blicke über das absurde Begräbnispanorama streifen. Jedoch, Stille.

Im toten Winkel seines faltigen Sichtfelds konnte er die Silhouette seiner zweiten Tochter ausmachen. Frida stand versteinert wie eine Friedhofs-Denkmal vor dem Grab ihrer Schwester, die Arme vor dem kindlichen Gesicht verschränkt, das geflutet war von silbrigen Tränen. Sie konnte es wohl am wenigsten verstehen, was hier gerade vor sich ging. Fiona tot. Eine Zukunft, genommen und fortgeschickt wie ganz nebenbei. Die Hoffnung erschlagen wie alles, was noch fühlen konnte im Herzen des kleinen Mädchens. Die restlichen Trauergäste schluchzten, hielten inne oder nuschelten sich Worte des Beileids zu. Niemand schien die ominöse Karte oder die Quelle ihrer Herkunft bemerkt zu haben. Falkner wagte einen letzten Blick über die kantigen Gesichter Berghofens, doch da war nichts auszumachen. Der Inspektor seufzte kräftig, aber innerlich, und bückte seinen trägen Körper Richtung Grab hinunter.

Die Spielkarte war genau in der Mitte des massivhölzernen Sarges gelandet. Es war ein Pik As. „Jogdgeschwada Dreiafufz“, schoß es Falkner durch den Kopf. Der viel zu dünn geschnitzte Heiland am Sarg-Kruzifix schien die Karte umschlingen zu wollen. Mechanisch glitt seine linke Hand in die tiefe Jackentasche, als ihm einfiel, dass er auf einem Begräbnis wohl besser nicht rauchen sollte. Falkner sinnierte, als er die Spielkarte genauer betrachtete. Was hatte es damit auf sich? Und warum überhaupt lag seine älteste Tochter dort unten in ihrem Grab? Wie konnte das Leben es zulassen, dass ein Vater sein Kind unter die Erde getragen sehen muss? Eine Galaxie voller Fragen, aber keine Antwort außer Schmerz. Falkners Gedanken verloren sich im dunklen Abgrund vor ihm und dem seines Herzens. „Wieso...“
Plötzlich ein Windhauch, wie eine Umarmung der Wolken. Laubrascheln, vergilbtes Geäst und Schwindel. Falkner fühlte sich, als ob seine Innereien gen Himmel gesogen wurden. Alles drehte sich, doch stand er ruhig da. Sekunden vergingen, seine Wahrnehmung verzerrt wie durch ein Kaleidoskop. Und nun dämmerte es ihm. Er konnte es nicht glauben, dass er es nicht schon früher ahnte, dass er schon wieder getäuscht worden war. Wie jede Nacht, ausgetrickst von seinem Unterbewusstsein, das ihm vorkam wie ein gefräßiger Alb auf Beutejagd.

Falkner atmete unruhig, als sich seine Augen langsam öffneten. Er spähte über seine rechte Schulter, dort stand sein altmodischer Wecker aus den 70ern. 5 Uhr 17. Es war noch stockdunkel im Zimmer, doch der erwachende Inspektor spürte, dass sich die Sonne bereits aufmachte, den Tag zu eröffnen. Falkner richtete sich behäbig auf in seinem spärlichen Einzelbett. Es wirkte genauso schnörkellos wie alles in dem schlichten Zimmers. „Dieses Oaschloch von Dram“, würgte ein kurzer Schwall von Wut durch seinen schweren Kopf. Seit zehn Jahren der gleiche Albtraum. Falkner hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass er seine Tochter wiedersehen würde, als sie damals spurlos verschwand. Dass er sie finden und retten konnte. Das war ihm doch gewiss. Jetzt fanden sie sie, jetzt war es soweit, jetzt war sie tot.

Wie jeden morgen sein zittriger Griff auf das Nachttischen neben ihm. Das Zigaretten-Päckchen war arg zerknittert. Nur noch drei Stück für den Start in den Tag. Seufzen, während er sich fragte, ob er nicht doch ein bisschen Mitschuld trüge an Fionas Tod. Ob er nicht mehr hätte tun können, ob er nicht mehr hätte tun müssen. Und bei dem Gedanken erinnerte er sich, dass ihn heute Frida besuchen kommen wollte. Seine hübsche Kleine. Sie kämpfte am meisten mit dem Tod ihrer Schwester und es erschien ihm ein Rätsel, wie sie jemals darüber hinweg kommen sollte. Er war versucht, kurz aufzuschrecken, aber seine müden Knochen ließen davon ab.


Die Sonne blinzelte quälend und fast zynisch, als Falkner die Vorhänge seines Schlafzimmerfensters zur Seite zog, um den allmorgendlichen Blick auf Berghofen zu richten. Falkners Zungenspitze glühte unter der dem ersten Zug des Tages. Er meinte, dass er mit Frida frühstücken gehen sollte. Und er war gewillt, dem Tod von Fiona auf die Spur zu kommen. Auch wenn ihm der Krickl den Fall entzogen hatte, am Rossfest würde sich die perfekte Gelegenheit ergeben, sich ein wenig umzuhören. Vor allem den Horst Hochwild würde er sich vornehmen, schließlich hatte Falkner das Pik Ass, das sich so wirr in seine Träume geschlichen hatte, auf dessen Hochstand gefunden. Der alte Brunnen, der sich gleich unter dem Fenster vor seinem Haus befand, wurde mit Girlanden verziert, während geschäftige Marktler ihre Stände errichteten. „Des vakummt a imma mehr zu an Zötfest“, ärgerte sich der Inspektor, als er den letzten Rauch aus seiner schmerzenden Lunge blies. Keine klaren Gedanken, sein Leben fühlte sich wie ein neues an.

Bild von George Almond



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