Mit einem heftigen Ruck knallte er die Haustür hinter sich ins Schloss,
doch als es passiert war bereute Falkner es bereits. Frau Lunte hatte ein
feinfühligeres Gehör als jedes jemals existierende Tier auf dieser Welt.
Falkner glaubte sogar eine gewisse Zeit, dass sie in die Zukunft blicken könne,
was völlig absurd war. Trotzdem war es wie verhext, dass, jedes Mal wenn er
außer Haus ging, sie schon bereit stand um ihn abzupassen. Ihre neugierige Nase
konnte sie aus keinem Thema heraushalten, über alles und jeden wusste sie
Bescheid. Doch es war kein gewöhnlicher Tag und das sogar in vielerlei
Hinsicht. Zu Falkners Überraschung war Frau Lunte heute ausnahmsweise einmal
nicht am Zaun um ihn mit Fragen zu durchlöchern. Schon lange nicht mehr fühlte
sich Falkner so wohl, während er sein Häuschen verlies. Er konnte sich kein
schöneres Geschenk zum Geburtstag von seiner Nachbarin vorstellen. Aber den
Gedanken, dass dies sich nun häufiger Ereigne, verwarf Falkner alsbald und
schritt gut gelaunt vom Zuhause Richtung Rossfest.
Von weitem konnte man schon die Klänge der Blasmusik hören, welche den
Umzug am Rossfest begleiteten. Fröhliche Märsche, geführt von den Musikanten,
ertönten über weite Wege. Sogar jenseits von Berghofen, wenn der Wind in die
richtige Richtung wehte. Gefolgt wurden sie, wie jedes Jahr, von den
Blumenmädchen, mit ihren feschen Dirndln und den lieblich geflochtenen Körben,
gefüllt mir den schönsten Blüten, welche zu dieser Jahreszeit erblühten. Aus
ihren Blumenkörben verstreuten sie hopsend die bunten Blüten, um den Weg zu
kennzeichnen, auf welchem der Trab der Zuchthengste folgte. Falkner hatte es
schon oft gesehen, es war alle Jahre dieselbe Leier. Doch vor vielen Jahren
noch, waren seine Töchter noch jünger. Sie waren vernarrt in den Umzug und kaum
ein Jahr durften sie die schönen Pferde und die Blumenmädchen verpassen. Einmal
erlaubte er ihnen sogar als Blumenmädchen mit zu hopsen. Wie sie doch beide
strahlten an diesem Tag, nie würde er es vergessen. Der Rösser Sepp war sogar
so nett gewesen und ließ die beiden später auf einem seiner Fohlen sitzen. Es
waren noch schöne Zeiten. Doch seit seine Fiona verschwunden war, hasste er es
hinzugehen. All diese Erinnerungen fluteten wieder seinen Kopf. Er mochte es
nicht, denn die Trauer, welche er damals empfand, schwemmte wieder sein
Bewusstsein. Wie eine Flaschenpost im Meer, welche durch die Flut an den Strand
der Erinnerungen angespült wird. Die Flasche öffne sich aber von selbst und
ihre Nachricht setze dieses unangenehme Gefühl frei, ohne es wirklich zu
wollen.
Zu Falkners Glück wurde er vom Hochwild Horst aus seiner Tagträumerei
gerissen.
„Grias Ihna Herr Inspekta! I wünsch Ihna Ois Guade zum Geburtstog! Sie
haum jo heid, oda? Na, des is a Zuafoi. Am gleichen Tog wias Rossf-“
„Danke“, unterbrach Falkner ihn und schüttelte ihm kräftig die Hand. Er
wollte ihn eigentlich schnell abwimmeln, doch da schoss ihm ein, dass er doch
hier auf diesem Fest eine der besten Gelegenheiten hatte weiter zu ermitteln.
„Hod im Woid bei Ihna wieda ois sei Ordnung?“, fragte Falkner harsch.
Horst erschrak beinahe. Falkner konnte ein kurzes Zucken erkennen, dass
seinen Körper durchfuhr und seine Augen blickten kurz umher.
„Eh ois in Ordnung,…“, sagte er, doch der kalte Schweiß an seiner Stirn
hatte ihn verraten. „… da Herr Oberst hod mi eh scho a poa moi befrogt. Sie
sand jo ned involviert, oda?“
„Na leida, deaf ned.“, antwortete er kurz. „ Is Ihna owa irgendwos
eigenortiges aufgfoin in letzta Zeit? I wü jo nur höfn, wissens eh,… meina
Tochter zuliebe.“, begann Falkner zu bohren, mit allen Mitteln die ihm bekannt
waren.
„Ned wirkli, owa…“, sagte Horst und dachte kurz nach „Ans warad
vielleicht-“
„Herr Inspektor!“ unterbrach ihn der Herr Gemeinderat von weitem und
eilte schnell herbei.
„Alles Gute wünsch i Ihna!“ und schüttelte ihm ebenfalls die Hand.
Falkner nickte nur dankend.
„Grias di Horst. Kunntast uns kurz allanich lossn? I muas midn Herr
Inspekta kurz wos besprechn.“
„Jo natürlich Karl! Herr Inspekta, an schen Tog wünsch i ihna!“ und
Horst schritt weiter zu der nächsten Gruppe von Leuten.
„Falkner, i würd sie gern zum Max ins Beisl einlodna. Hätt für sie a
Grillhenderl bestellt, wos natürlich auf mi geht. In 10 Minuten? Passt des?
Nochand kunnt ma jo nu Kartln, wie friara.“ quasselte der Herr Gemeinderat
eilig und lies Falkner kaum eine andere Wahl als zuzusagen.
„Is in Ordnung Herr Gemeinderod. I suachad nu in Herrn Krickl vorher,
haums erm schon wo gseng?“ fragte ihn Falkner.
„Jo, jo. Der woa scho do, glaub der is im Festzelt. In 10 Minuten beim
Max! Bis glei Herr Inspekta!“, sagte er zu Falkner und rauschte ab, direkt zu
den nächsten Leuten und begrüßte sie herzlich.
Es kam ihm doch ein wenig eigenartig vor, dem Herrn Inspektor, dass
alle seine Gespräche mieden.
„Den Hochwild Horst hol i ma später, wenn er scho a poa Bier trunkn
hod. Da redens mehr de Leid.“, dachte Falkner sich und begab sich in Richtung
Festzelt.
Neben ihm waren sie aufgereiht, Bierbänke und Sitzgelegenheiten. Es war
kaum abzählbar wie viele Leute sich hier aufhielten. Man könnte meinen ganz
Berghofen sei am Rossfest vertreten, die anderen Winkel, Gassen und Straßen im
Ort müssten leerer sein als noch in der Nacht zuvor, bei solch einem Auflauf.
Falkners Gedanken schweiften ab, als er durch die Menge spazierte. Hier und da
wurden ihm Glückwünsche und Begrüßungen zugerufen, meist hob er die Hand zum
Dank, ohne sich jedoch die Mühe zu machen die Personen zu erkennen, welche ihm
so freundlich entgegentraten. Er dachte nach und die Grüße, welche er
versendete, wurden immer spärlicher.
„Der perfekte Tag für ein Verbrechen“, sagte er sich immer wieder
selbst, als er an die möglicherweise leeren Gebiete von Berghofen dachte.
Ein dumpfer Knall holte ihn jedoch wieder zurück. Der Knall der
Luftdruckgewehre vom Schießstand, wo sich viele Jugendliche als Profijäger
versuchten. Es gab reichlich Preise zu gewinnen, beim Treffen der Ziele. Von
Stofftierchen bis einfachen Süßigkeiten war beinahe alles zu haben, was die
Kinderseele begehrt. Er beobachtete kurz zwei jüngere Burschen am Schießstand.
Der eine etwas schmächtig, der andere etwas größer und kräftiger. Der Kräftige
nahm das Gewehr in die Hand, platzierte eine Patrone im Lauf, knickte es zurück
und repetierte. Er konnte das Gewehr anlegen, doch Falkner merkte, dass es doch
noch etwas zu schwer für ihn war. Er zielte ein wenig zu lange herum und
drückte ab.
„Leida daneben“, sagte die Dame am Schießstand. Sie nahm ihm das Gewehr
ab und präparierte es für den kleineren Jungen. Gekonnt legte er das Gewehr,
mit Abstützung am Schützentresen, an und fackelte nicht lang herum und drückte
sofort ab.
„Treffer!“, sagte sie und reichte dem Jungen seinen Schlecker, den er
sich geschossen hatte. „Direkt ins Herz!“, fügte sie hinzu. Falkner starrte
verdutzt etwas genauer auf die Zielscheibe und konnte ein Herz-Ass erkennen,
welches als Ziel benutzt wurde. Das Loch direkt durch das Herz auf der Karte.
„Pik-Ass, Pik-Ass,…“, dachte er „… was hat es mit dem Pik-Ass auf sich…
Karten… Kartln!“
Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass er doch verabredet war mit dem
Herrn Gemeinderat und eilte schleunigst zum Beisl vom Max. Er blickte noch kurz
auf die Uhr und stellte fest, dass doch schon mehr als 10 Minuten vergangen
waren.
Als er in die gute Stube eintrat, waren nur wenige Personen anwesend.
Der Besitzer stand an der Theke und reinigte gerade, mit einem schon etwas
älter anmutenden Geschirrtuch, die Weingläser. Gegenüber am Tisch saßen der
Herr Gemeinderat mit dem Herrn Oberst Krickl beisammen und genehmigten sich
beide gerade eine „Hoiwe“. Allzu lange waren sie noch nicht dagewesen, da das
Bier in den Gläsern kaum angerührt war. Die Schaumkronen ihrer Getränke waren
erst halb zerfallen. Falkner hatte sie anscheinend bei einem wichtigen Gespräch
unterbrochen. Beide blickten ihn stumm an als er die Gaststube betreten hatte.
Erst das Geräusch der zufallenden Tür, weckte die Aufmerksamkeit des Bewirters.
„Herr Falkner! Grias ihna! Wos deafs denn sein heid?“, begrüßte ihn
Max.
„Des übliche. Wie friara.“, antwortete er kurz.
„Amoi Verlängerter schwoaz, kummd sofuat.“
Er nahm Platz, dort am Tisch neben dem Herr Oberst, welcher ihn sofort
herzlich begrüßte.
„Falkner, wünsch da ois Guade. Wie geht’s da jetzt mid dem neichn Jahr
dazua?“, fragte Krickl frech.
„Wie gestern, wos nu ans weniger woa.“, sagte Falkner unbeeindruckt. „
Wie laufts im Fall? Gibt’s scho wos neichs?“
„Naja, jetzt grod laufts wie immer. Kana hod wos gseng und de Beweise
sand z’weng das ma wos sogn kunntn. Owa wir kumman scho drauf. Do gib i da mei
Wort.“
Falkner schwieg. Sein Wort war ihm nichts Wert. Er wollte Ergebnisse
sehen, immerhin ging es hier um seine geliebte Fiona. Innerlich kochte er, denn
er wusste, wenn er den Fall bekommen hätte, würde schon viel mehr geschehen
sein. Doch sein äußeres war kühl, fast kalt sogar. Seine Gefühle konnte er
unter Leuten gut in Zaum halten.
„Jetzt dama moi Kartln, loss ma des Thema jetzt.“, sagte der Herr
Gemeinderat und nahm eine Kartenpackung aus der Brusttasche seines Hemdes,
öffnete sie und begann zu mischen. „De Hendl kumman ah glei. D’Resl hod gsogt
sie bringts uns eina.“
„A Verlängerter schwoaz, bittesehr! Geht auf mi heid, zum Geburtstog.“,
sagte Max, der plötzlich den Kaffee auf den Tisch platzierte.
„Danke.“, antwortete Falkner, der dem Karl fast in Trance beim Mischen
der Karten beobachtete. Er erkannte sofort das Muster auf der Rückseite der
Karten. Es war genau wie jenes, welches auf dem Pik-Ass gewesen war.
„Schaud aus ois daradn a poa Koatn fehln.“, merkte er gelassen an. Mit
dem Löffel rührte er in langsamen Kreisen seinen Kaffee um.
Karl sagte nichts und begann zu zählen. Eins, Zwei, Drei…
Krickl blickte Falkner verdutzt an, doch Falkner blieb gelassen und
starrte weiter auf die Karten, die auf den Tisch abgelegt wurden. Die Bilder
der Karten waren verdeckt.
„Anafuchtzg“, sagte Karl nach kurzer Zeit des Zählens.
„Daun fehlt ane.“, sagte Falkner. „Schau moi wöche es is.“
„Geh des is jo wuascht… Max!“, rief Krickl dem Wirt zu. „Host du nu a Packl Spükoatn do?“
“Mir owa ned.”, sagte Falkner etwas ernster. „Bitte deckns auf noch de
Foarbn.“ Und nahm einen kräftigen Schluck vom Kaffee.
Karl tat dies ebenfalls von seinem Bier. Falkners geschultes Auge
konnte erkennen, wenn jemand nervös wurde. Was beim Herrn Gemeinderat nun der
Fall war. Er begann trotzdem aufzudecken, denn er wusste wie Falkner tickte.
Würde er verweigern, würde er die Situation noch verschlimmern.
„Wos bringt da des jetz, wir keman jo goa nimma zan spün.“, sagte
Krickl genervt.
Doch die Karten wurden offengelegt. Eine nach der anderen. Falkners
Auge war konzentriert auf jedes einzelne Blatt gerichtet.
Herz-Vier. Kreuz-Bube. Karo-Neun. Es ging immer weiter. Pik-Zehn.
Pik-König. Karo-Zwei.
Falkner wusste genau welche Karte er nicht sehen wollte. Er wusste,
wenn diese eine Karte fehlt, würde er jemanden haben, der zumindest mit dem
Fall in Verbindung steht. Solche Zufälle ereignen sich nicht.
Herz-Dame. Kreuz-Sieben. Herz-Ass.
„Direkt ins Herz!“, schoss Falkner kurz durch den Kopf, als diese Karte
abgelegt wurde.
Mit jeder einzelnen Karte wurde Falkners Puls schneller. Krickl starrte
nur zum Wirt um zu erfahren, wann er denn endlich mit den neuen Karten
auftauchen würde. Der suchte aber noch in den unzähligen Laden hinter der Theke
nach einer Packung.
Rasend pulsierte das Blut durch seine Adern. Er konnte es schon im Hals
spüren wie es pochte.
Pik-Vier. Pik-Drei. Karo-König
Kreuz-Zwei. Karo-Ass
Kreuz-Acht.
Herz-Sechs.
Es waren nur noch drei Karten.
Herz-Fünf.
Beinahe wird es wahr.
Karo-Sieben.
Und in diesem Moment wurde die Tür zur Gaststube aufgeschleudert.
„D’Resl“, wie der Herr Gemeinderat sie nannte, stand in der Tür und
erntete die Blicke aller Personen im Raum.
„Kemmts schnö! Es is wos passiert!“,sagte sie und flüchtete schlagartig
nach draußen.
Der Herr Oberst packte Falkner am Arm und zerrte ihn etwas zu sich.
„Schnö! Wir werdn braucht!“
Alle verließen mit ihnen den Raum, außer der Herr Gemeinderat. Der saß
noch beim Tisch mit der einen Karte in der Hand und kaltem Schweiß an der
Stirn. Die letzte Karte glitt ihm von den Fingern auf den Tisch.
Pik-Dame.
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